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„EU-Diskussion: Österreichische Innenpolitik verkommt zur „Provinzposse““
Am Abend nach der EU-Wahl hat der Club Alpbach Steiermark in Graz eine Diskussion mit reger Publikumsbeteiligung über die Folgen des Wahlergebnisses veranstaltet. Die EU-Zukunft drohte ob der innenpolitischen Situation fast in den Hintergrund zu geraten.
Eine turbulente innenpolitische Woche war dem Wahlsonntag vorausgegangen und abwechslungsreich ging es auch danach weiter. Nur wenige Stunden vor der Diskussion war die Übergangsregierung am Montagnachmittag per Misstrauensantrag im Nationalrat abgewählt worden. Der von allen Funktionen zurückgetretene Ex-Vizekanzler und Ex-FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache kündigte auf Facebook an, sein EU-Mandant annehmen zu wollen. Wenig später löschte er das Posting. Auf EU-Ebene standen in den nächsten Tagen die Verhandlungen über die Besetzung der Spitzenpositionen an. Inmitten dieser Stimmungslage diskutierten der ehemalige EU-Abgeordnete Reinhard Rack (ÖVP), „WOCHE“-Chefredakteur Roland Reischl und EFA-Stipendiat Sebastian Swoboda unter der Leitung der ORF-Journalistin Birgit Zeisberger über die Auswirkungen der Europa-Wahl.
„Keine Provinzwahl“
Zum ersten Mal seit 40 Jahren haben die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten (S&D) keine Mehrheit im EU-Parlament. Eine tragfähige Mehrheit zu bilden, wird damit äußerst schwierig. Das könnte in Zukunft zum Problem werden, meinte Reinhard Rack, von 1995 bis 2009 selbst EU-Abgeordneter. Zwar sei das Parlament durch die hohe Wahlbeteiligung gestärkt worden, diese Stärke könne man mit so schwierigen Mehrheitsverhältnissen aber nicht ausspielen. „Es wird deutlich schwieriger sein, wichtige Anliegen auch gegen den Willen des Rates durchzupushen“, sagte Rack. Knapp über 50 Prozent der wahlberechtigten EU-Bürger gingen zu den Urnen. „Jetzt kann man nicht mehr sagen, das ist irgendeine Provinzwahl“, so Rack. Das hohe Interesse liege auch an der Brexit-Debatte. Man habe gesehen, wie viel bereits auf EU-Ebene geregelt werde. „Politische Entscheidungen haben die Menschen plötzlich wieder berührt“, so Rack.
Junge machen Unterschied
„Die Großparteien werden die kleinen brauchen“, sagte Sebastian Swoboda im Hinblick auf künftige Mehrheiten bei Entscheidungen im EU-Parlament. Er verwies darauf, dass die jungen Wähler deutlich anders gewählt hätten als der Rest des Landes. In Österreich entschieden sich 28 Prozent der unter 30-Jährigen für die Grünen, nur 16 Prozent für den Wahlsieger ÖVP. In Deutschland landeten die Grünen im Gesamtergebnis mit 30 Prozent gar auf Platz 2. Dass es aber unbedingt junge Köpfe brauche, um die Jugend zu vertreten, glaubt der WU-Student Swoboda nicht.
„Haben aus Regierungskrise Staatskrise gemacht“
„WOCHE“-Chefredakteur Roland Reischl vertrat die Meinung, man habe in Österreich eine innenpolitische Wahl erlebt und nicht eine Europa-Wahl. „Wir haben aus einer Regierungskrise eine Staatskrise gemacht“, sagte Reischl. Die Position Österreichs in Europa sei geschwächt, man werde nicht mehr auf Augenhöhe wahrgenommen – nach den Vorkommnissen der vergangenen Tage und besonders nach dem Misstrauensvotum im Nationalrat. „Das war eine Provinzposse“, so Reischl. Welche Auswirkungen das auf den Standort Österreich haben werde, sei noch nicht klar.
Einig waren sich die Diskutanten jedenfalls, dass dieses Vorgehen der SPÖ, die den Misstrauensantrag gegen die ganze Regierung eingebracht hatte, schaden werde. Das sei nicht staatstragend gewesen, so Swoboda. In der Nationalratssitzung habe man „blanken Hass“ gesehen, ergänzte Reischl. Zum Thema Staatskrise kam Widerspruch von Reinhard Rack. Davon könne man nicht reden, immerhin gebe die Verfassung nun die Vorgehensweise vor und die Verfassungsorgane würden problemlos funktionieren. Zustimmung dafür kam aus dem juristisch versierten Publikum.
Von Brüssel, Medien und der Digitalisierung
In Europa habe man die türkis-blaue Koalition genau beobachtet. „Man hat es als positive Form des Containment wahrgenommen, jetzt wird es wahrgenommen als Schiffbruch“, sagte Reinhard Rack über das Kurz-Kabinett. In den nächsten Monaten habe man wohl einen „schmutzigen, hässlichen“ Wahlkampf zu erwarten. „Es wird wahrscheinlich um sehr wenig Sachfragen und um sehr viel Emotionen gehen“, meinte der frühere EU-Abgeordnete. Dem Image der Politik wäre das nicht zuträglich. „Das Image ist schon jetzt viel zu schlecht“, pflichtete Sebastian Swoboda bei. Die Medien seien da nicht ganz unschuldig, nahm Roland Reischl seine eigene Branche in die Pflicht.
Nach der innenpolitischen Debatte kehrte man schließlich wieder auf die Europa-Ebene zurück, um zu klären, welche Themen die EU in den nächsten fünf Jahren beschäftigen würden. Es stünden „notwendige Strukturthemen“ im Zusammenhang mit der Finanzierung an, meinte Rack. Die Gemeinsame Agrarpolitik und die Regionalpolitik würden noch zu diskutieren sein. Als dezenten Verweis auf die Subsidiarität konnte man wohl Racks Aussagen verstehen, wonach sich die EU mehr um Detailfragen kümmern sollte, während er etwa den Gedanken der Sozialunion als „Spruch von gestern“ ohne „realen Inhalt“ bezeichnete. Reinhard Rack sprach sich außerdem gegen ein Initiativrecht des EU-Parlaments aus. Es kämen ohnehin genug Vorschläge von den Nationalstaaten.
Sebastian Swoboda nannte die Digitalisierung und die dazugehörige Infrastruktur als wichtiges Zukunftsthema. Ebenso müsse man ein europäisches Vorgehen für Afrika entwickeln, wobei auch die Landwirtschaftspolitik eine große Rolle spiele. Man müsse Afrika „von innen heraus stärken“.
Bürger näher an die EU heranführen
Einigkeit am Podium herrscht auch darin, dass es eine bessere Kommunikation vonseiten der Europäischen Union brauche, wobei Rack anmerkte, dass Information „nicht nur eine Bringschuld, sondern auch eine Holschuld“ sei. Reischl meinte, der allgemeine Wissensstand über die EU sei sehr schlecht. Daran hätten auch die Journalisten ihren Anteil, bei denen immer kurz vor einer Europa-Wahl „die Panik ausbricht“. Reinhard Rack pflichtete dem gewissermaßen bei. Er habe stets einen Teil seines Abgeordneten-Budgets dafür verwendet, Besucher und Besucherinnen ins EU-Parlament zu holen und ihnen vor Ort die Abläufe näherzubringen. Dann sehe man die Sache ganz anders, meinte Rack. Er habe diesen Rat auch bereits an seine steirische Nachfolgerin im EU-Parlament, Simone Schmiedtbauer, weitergegeben.
Ebendies scheint auch wichtig zu sein, um den EU-Bürgern die Bedeutung der Europäischen Union weiterhin vor Augen zu halten. „Die EU hat mehr gebracht als Frieden“, meinte ein Zuhörer. Er selbst habe noch den Krieg erlebt. Er sorge sich, dass die positiven Leistungen zu wenig gewürdigt werden und stattdessen „Trumps langer Schatten in Europa angekommen“ und die Gesellschaft gespalten sei. Man müsse wieder mehr das „Bild von Frieden, freien Grenzen und gemeinsamer Währung zeichnen“, betonte Journalist Reischl. Auch Swoboda meinte, die EU als Friedensprojekt sei immer wieder zu betonen und nicht als Tatsache hinzunehmen. Allerdings empfinde er die Spaltung der Gesellschaft als nicht so schlimm. Seiner Ansicht nach gebe es noch immer eine große pro-europäische Basis.
Man müsse diese Entwicklung gut beobachten. Er hoffe, die EU einige sich auf einen guten und schnellen Konsens, „weil wir momentan ein bisschen viel Nabelschau innerhalb von Europa haben und es wichtiger wäre, hinauszuschauen“, so Reischl. Europa wäre gut beraten, sich zu sammeln. Wie das nun zu bewerkstelligen sein werde, werde sich wohl in den nächsten Monaten zeigen. Feststeht nach diesem Diskussionsabend allerdings, dass noch einige Herausforderungen auf die Europäische Union warten.
Der Dank für die Berichterstattung geht an EFA 2018 Stipendiatin Alina Neumann.
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